Die Schweiz schaute gebannt auf das Naturereignis in Graubünden: In der Nacht zum 16. Juni 2023 wälzte sich der Hang oberhalb Brienz (GR) donnernd auf das Bergdorf zu. Meterhohe Geröllmassen kamen wenige Meter vor dem Dorf zum Stehen.
Der Hangrutsch in Brienz war nicht zu kontrollieren, sein Ausgang blieb lange Zeit ungewiss. Ein Teil der Kantonsstrasse wurde verschüttet und bleibt unpassierbar. Doch präzise Messungen und Berechnungen halfen dabei, die Entwicklungen im Berghang in Echtzeit zu beobachten sowie Zeitpunkt und Ausmass des Ereignisses möglichst genau vorherzusagen. So konnte das Dorf rechtzeitig evakuiert werden.
Einen wesentlichen Teil der Messdaten zur Lagebeurteilung lieferte das Geomatik-Team der HMQ. «Um die Lage exakt zu beobachten, braucht es ein Zusammenspiel mehrerer Systeme», weiss Christian Vetsch, Geschäftsführer HMQ Geomatik. Die HMQ ist zuständig für die geodätische Überwachung vieler, über das Rutschgebiet verteilter Einzelpunkte. Zum Erheben dieser Daten werden Tachymeter und GNSS-Sensoren eingesetzt:
«Das Team des Frühwarndienstes Albula/Alvra wertet unsere Daten zusammen mit weiteren Daten wie geotechnischen Messungen, radarinterferometrischen Messungen und Temperatur- und Niederschlagsbeobachtungen aus. Es kann die Gefahrensituation damit laufend beurteilen», weiss Christian Vetsch. Aufgrund der laufenden Lagebeurteilung konnte das Dorf Brienz rechtzeitig evakuiert und kurz nach dem Ereignis für die Bewohner wieder freigegeben werden.
Die Bewohnenden und das Dorf blieben verschont, die Situation hat sich entspannt. Doch der Rutsch ist nicht vorbei. Das Dorf bewegt sich derzeit mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Meter pro Jahr. Häuser, Infrastruktur und Strassen werden weiterhin in Mitleidenschaft gezogen.
Wie lässt sich der Berg technisch sanieren, um Brienz bestmöglich zu schützen? Eine Massnahme mit messbarer Wirkung ist der 635 Meter lange Sondierstollen, welcher im Herbst 2022 nach einjähriger Bauzeit fertiggestellt wurde: «Wir sehen, dass mit zunehmender Entwässerung die Bewegung des Gebiets oberhalb des Stollens und auch des Dorfes langsamer wurde», bestätigt Christian Vetsch.
Im Frühjahr 2024 beginnt deshalb die Verlängerung des Sondierstollens mit einem 1666 m langen Entwässerungsstollen unter der Rutschung. Mit zahlreichen Drainagebohrungen wird der Porenwasserdruck der Gleitschicht unter Brienz massgeblich reduziert. Ziel ist es, die Bewegungen des Dorfes mithilfe der Entwässerung auf unter 10 cm im Jahr zu reduzieren. Dadurch werden zum einen das Dorf am Leben erhalten, zum anderen die Zug- und Strassenverbindung sowie die Hochspannungsleitung über den Albulapass gesichert.
Bereits seit vielen Jahren betreut die HMQ dieses Projekt. Nicht nur technisch sind dabei Höchstleistungen gefragt – auch emotional hat das Projekt grösste Bedeutung: Es liegt uns am Herzen, Brienz als Heimat und Lebensmittelpunkt der Menschen zu erhalten. Zu vermeiden, dass sie ihren Wohnort aufgrund der Rutschung temporär oder dauerhaft verlassen müssen, hat deshalb oberste Priorität. Wir freuen uns, hierfür unseren Beitrag zu leisten.